Schon lange vor Corona, als die Treffen im Vereinsheim der Bürgerwehr freies Rettigheim e.V. noch völlig unkompliziert waren und wir zu verschiedenen Anlässen unsere Mitglieder begrüßen konnten…, zu jenen Zeiten waren auch unsere „ältesten“ Mitglieder regelmäßig und sehr gerne unsere Gäste. Meist hatten sie sogar den gleichen Tisch und verweilten mit uns bis in die späten Abendstunden, um die Zeit unter Freunden zu genießen.
Schon lange vor Corona erzählten die „Damen“, wie wir sie oft wertschätzend nennen, davon, dass in unserem Vereinsheim vor langer Zeit mal das alte Rathaus war.
Schon lange vor Corona interessierte mich persönlich das brennend, auch mit dem Hintergedanken, daraus mal wieder einen Artikel für unser Ortsblatt zu schreiben.
Ja, und dann kam Corona, und die Zeit verstrich wie im Nu, aber der Gedanke, die Geschichten niederzuschreiben, blieb immer noch fest im Kopf verankert…
Und so lud ich unsere Ladys Anfang September ein, um sich mit mir, natürlich ganz Regelkonform mit Hygienekonzept, Abstandswahrung und allem was dazu gehört, in unserem Vereinsheim zu treffen, um nun endlich, auch trotz Corona, den Gedanken in die Tat umzusetzen.
Mit riesengroßer Freude nahmen sie die Einladung an und erschienen auch fast allesamt.
Bei einem kleinen Vesper und einem Gläschen Wein machten wir es uns gemütlich.
Natürlich gibt es auch im Rettigheimer Heimatbuch das ein oder andere Historische über unser Vereinsheim zu lesen. Schließlich war es ja auch mal das alte Rettigheimer Rathaus. Ich möchte dabei aber erwähnen, dass ich keine Historikerin bin, sondern einfach nur jemand, der gerne schreibt und hier auf die persönlichen Erinnerungen von ein paar Mitgliedern Einblick geben möchte. Geschichten, die diesem Gebäude lange vor unserer Vereinszeit Leben eingehaucht haben, Geschichten, die ich erfahren durfte, und deren Einverständnis ich bekam, sie niederzuschreiben.
Die „waschechten Rettigheimerinnen“ Angela Hotz und Angela Göbel fingen auch spontan an, von den guten alten Zeiten zu erzählen. Ich erfuhr als erstes, dass das alte Rathaus damals aus Platzgründen einfach über den Bach gebaut wurde.
Die Geschichte von Angela Hotz mit dem Vereinsheim, beginnt sogar auch gleich mit ihrer Geburt. Als sie im Jahre 1927 das Licht der Welt erblickte, ging ihr Vater , so wie es üblich war, dort aufs Amt, um die Geburt seiner Tochter anzuzeigen. Der damalige Ratsschreiber sagte kurzerhand, dass es den Namen Angela nicht gibt, und schrieb einfach und ohne Einverständnis des Vaters den Namen Angelina fest. Diese zwei kleinen Buchstaben verfolgten sie nun schon so oft bei Amtsgeschäften.
Aber Angela hielt immer daran fest, dass sie auf Angela getauft wurde, und allein dieser Name schon immer für sie seine Gültigkeit hatte. Und auch jeder der sie kennt, kennt sie nur unter diesem Namen, und so wollen wir das gerne auch in Zukunft beibehalten!!!
Als im Jahre 1939 Angela verheiratete Göbel zur Welt kam, war der Fortschritt in Bezug der Namensgebung schon weiter, und sie hatte dadurch nicht die gleichen Probleme 😉
Jeden Sonntag stand der Ratsschreiber Werstein am oberen mittleren Fenster und verkündete von dort aus alles, was so im Laufe der vergangen Woche in Rettigheim passiert war. Egal ob Geburt, Hochzeit oder Vorkommnisse in der kleinen Gemeinde – seine Erzählungen waren mit dem heutigen Ortsblatt zu vergleichen, und die Männer hörten aufmerksam zu, während die Frauen zu Hause das Mittagessen kochten.
Ich erfuhr ebenso, dass das erste Stockwerk, da wo heute unser Vereinsraum ist, das Bürgermeisteramt beherbergte. Der Raum selbst war ja bis zu unseren Umbaumaßnahmen durch eine Mauer in zwei Räume geteilt…
Noch bevor sie weitererzählten,streifte ihr Blick durch unser Vereinszimmer, und sie meinten, es wäre ja echt schön hier, hier ließe es sich auch gut wohnen. Ja, viele unserer Vereinsmitglieder hatten vor ein paar Jahren unzählige Stunden geopfert, um unser Vereinsheim zu renovieren und herzurichten und zu dem zu machen, was es heute ist. Aber das ist eine andere Geschichte und wird auch sicher ein anderes Mal erzählt werden…
Im unteren Stock befand sich das Grundbuchamt. – „Das waren noch Zeiten, als man dort vor Ort noch seine Rente ausbezahlt bekam…“
Als Mathilde Kamuf, bei uns allen als Hilde bekannt, 1946 aus Tschechien nach Rettigheim kam, musste sie sich hier im alten Rathaus anmelden.
Später hielt hier auch die Post ihren Einzug. Und wenn man telefonieren wollte, hatte man die Möglichkeit, es auch von dort aus tun. – Nix mit Handy in der Tasche und überall und jeder Zeit erreichbar 😉
Sichtlich in die Zeit von damals versetzt waren die Mädels als sie davon berichteten, dass im oberen Stock, da wo sich jetzt unsere kleine Küche befindet, eine Zelle war. Und wie es sich dafür gehört, war das dazugehörige Fenster auch mit Gitterstäben versehen. Sie konnten sich an die Geschichte mit dem von Kislau ausgebrochenen Sträfling erinnern und erzählten sie so lebendig, als wäre es gerade erst passiert…
Der Geflohene, der noch seine Sträflingskleidung anhatte, wurde von ein paar Kindern hinter einem Heuhaufen auf dem Feld entdeckt und den Erwachsenen verraten. Danach wurde er von zwei Seiten aus, über den Sportplatz und die Waldkapelle so lange verfolgt, bis er endlich wieder gefasst werden konnte. Dies wurde durch einen Schuss aus einer Pistole von der Gruppe angezeigt die ihn gefunden hatten, so dass die anderen auch Bescheid wussten.
Der Gefangene wurde für einen Tag in die Zelle gesperrt, bis er wieder nach Kislau überführt werden konnte, Angela und Angela, selbst noch zu der Zeit Kinder, erinnerten sich noch daran, dass er aus dem Zellenfenster mit ihnen und anderen Kindern erzählt hatte.
Das war aber scheinbar der einzige Insasse dieses Zimmers, soweit zumindest die Erinnerungen.
Im Februar 1948 heiratete Angela Hotz in unserem jetzigen Vereinsraum. Als sie uns davon berichtete zeigte sie auf die Stelle, wo sie damals als Braut und Bräutigam bei ihrem Ja-Wort standen, und man merkte ihr an, dass sie gerade in die Zeit und dem so schönen Ereignis zurückversetzt war.
Angela Göbel heiratete im Jahre 1963 ihren Oskar bereits im „neuen Rathaus“.
Hilde erzählte uns noch davon, dass sich ihr Sohn Rainer noch gut daran erinnern konnte, dass er, vermutlich um die Zeit 1964, ausnahmsweise im alten Rathaus für ein paar Tage Schulunterricht hatte.
Ich durfte noch viele alte Geschichten rund um Rettigheim hören, und ich spürte, wie gerne wir alle in diese alten Zeiten versanken.
Es war ein wunderschöner Abend und ich möchte mich, auch im Namen der Vorstandschaft, ganz herzlich bei euch dreien für eure Erzählungen bedanken.
Liebe Angela, Angela und Hilde,
vielen Dank für Eure Zeit, die ihr mit mir geteilt habt, und die Erlaubnis, eure Geschichten rund um unser Vereinsheim fürs Ortsblatt niederschreiben zu dürfen. Danke, dass wir alle so an dieser Zeitreise teilnehmen können.
Ihr ward zum Abschluss ganz ohne jeden Zweifel der Meinung:
„ Es ist schon schön heute, aber, es war auch eine sehr schöne Zeit damals!!!“
Für die Bürgerwehr freies Rettigheim e.V.
Helga Just